Ein Beitrag von Jens Jürgen Korff
Wolf Schneiders Bücher gehören zu den Standard-Werken für Werbetexter und -texterinnen. Ein Leben lang hat er sich für verständliche und “gut konsumierbare” Sprache eingesetzt.
Sein Büchlein »Deutsch fürs Leben« hat mir 1995 meine Schwester geschenkt, und ich habe es zu Beginn meiner Karriere als Werbetexter inhaliert. Schneider hatte sooo Recht! Sein Heldenkampf gegen den Fachjargon, gegen Passivkonstruktionen und gegen den erzkanzleideutschen Schachtelsatz war legendär. Sein Credo war das eines guten Dienstleisters: Der Autor, die Autorin muss arbeiten am Satz, damit die Leserin, der Leser sich wohlfühlen können im Text, damit sie rasch alles verstehen, worauf es ankommt, erfahren, was sie wissen wollen, und den Überblick über das komplizierte Thema gewinnen. Gerade wenn das Thema komplex ist, dann muss der Satz, das Werkzeug zum Verständnis, um so einfacher und klarer sein.
Ich greife das dunkelblaue Vademecum aus dem Regalbrett links neben mir, schlage es auf und stoße auf das Kapitel »Kompliziertes gläsern gliedern«. Ist das eine Headline? Jawohl! Und was empfiehlt uns da der große Lehrer und Meister aller Journalistinnen und Texter? Hat ein Thema drei oder mehr Personen oder Aspekte, dann präsentiert man zuerst die erste, dann die zweite und dann die dritte. Das klingt banal, aber leider wird diese einfache Regel allzu oft nicht beherzigt. Stattdessen wird verschachtelt wie vor Weihnachten: Außer a gibt es auch b und c; neben a auch b und c, insbesondere aber d; sowohl a als auch b und c, schließlich noch d; und – speziell beim Werbetext: von a über b und c bis hin zu d! Hauptsache, die Form regiert die Inhalte, Hauptsache, alles bleibt in einem Atemzug, Hauptsache, alle Beteiligten hecheln am Ende wie Hektor der Hofhund.
Wolf Schneider empfahl uns stattdessen, vor dem Satzbau die Aspekte durchzuzählen und einen Herold vorwegzuschicken, der verkündet: aus drei Gründen: erstens a, zweitens b… Gerne auch tabellarisch:
1. dies
2. das
3. jenes
Oder ohne Zahlen als Pünktchenliste. Das schrieb er 1994; da war das Internet in Deutschland noch ein Gerücht. Schneiders dänisch-amerikanischer Nachfolger Jakob Nielsen – bei mir jedenfalls der folgende Meister – erklärte die Pünktchenliste ab 1997 zum Goldstandard für benutzerfreundliche, gut überfliegbare Webtexte.
Wolf Schneider, 1925 in Erfurt geboren, aufgewachsen in Berlin, war zunächst Journalist, u. a. bei der Süddeutschen Zeitung, beim »Stern« und bei der »Welt«. Dort wurde er 1973 als Chefredakteur abgelöst, weil er einen kritischen Kommentar über den chilenischen Diktator Pinochet hatte passieren lassen. Von 1979 bis 1995 leitete er die Hamburger Journalistenschule (später Henri-Nannen-Schule) und entwickelte sich dort zum Kritiker der Pressesprache.
Er schrieb eine ganze Serie von Deutschbüchern: Deutsch für Profis, Deutsch für Kenner, Deutsch fürs Leben, Deutsch für Werber (1997; leider vergriffen und in keiner Bibliothek und keinem Antiquariat zu finden), Deutsch für junge Profis, außerdem Sachbücher zu ganz unterschiedlichen Themen, die Alpen, die »Titanic«, darunter ein frühes (1964) und ein spätes (2014) übers Soldatentum.
Er wurde konservativer, engagierte sich gegen die Rechtschreibreform, gegen Anglizismen, gegen das Gendern, beklagte wie so viele alte Männer den angeblichen Niedergang der deutschen Sprache. Hier trennten sich unsere Wege, denn ich fand die Rechtschreibreform vernünftig und pragmatisch, finde das Gendern inhaltlich gerechtfertigt (wenn auch nicht in allen seinen Formen handhabbar und durchdacht). Seine Kritik an überflüssigen Anglizismen teile ich weiterhin, denn es ist praktisch die Kritik am Fachjargon. Mit einem Niedergang der deutschen Sprache hat sie nichts zu tun. Der Niedergang der Sprache wurde schon so oft heraufbeschworen; wenn das stimmen würde, könnten wir schon längst nicht mehr sprechen. Nein, wenn wir älter werden, müssen wir damit leben, dass Prinzipien und Fertigkeiten, die wir in jungen Jahren gelernt und verinnerlicht haben, veralten und vergessen werden, so wie die Häuser, die in unserer Jugend gebaut wurden, veralten und abgerissen werden. Sprache, wie auch andere Kulturtechniken, bekommt stets neue Aufgaben und entwickelt neue Lösungen von neuer Schönheit. Wenn ich einen Poetry Slam besuche, erlebe ich neuartige Feuerwerke der Sprachkunst.
Derweil ist Wolf Schneider, der große Meister der klaren Sprache, im gesegnteten Alter von 97 Jahren in seinem Wohnort Starnberg gestorben.
2 Antworten
Ich habe mir ca. 2006 das Buch “Deutsch! – Das Handbuch für attraktive Texte” von Wolf Schneider gekauft. Vieles aus diesem Buch hat sich in mir auf Anhieb festgesetzt und ich praktiziere es nach wie vor. Wolf Schneider geht in seinem Handbuch ebenso sachlich wie emotional zu Werke. Wie endet dieses Buch? Ich zitiere den letzten Absatz: “Was bleibt als Rat zu guter Letzt? Liebe deinen Leser wie dich selbst.”
DER Standard für jedes Werbetexten. Seine Prämissen gelten – bis auf Ausnahmen – auch heute noch in den Zeiten des WWW.